Umgang mit Ängsten

IMPULS: Was bringt Erleichterung: Ängste verdrängen oder sich ihnen stellen?

 – Einst sass ein alter Mann unter einem Eichenbaum, als der Seuchengott des Weges kam. Der alte Mann fragte: «Wohin des Weges?». Der Seuchengott antwortete: «Ich gehe in die Stadt und stecke 100 Leute an, so wie es meine Aufgabe ist.» Ein Jahr war seitdem vergangen und der alte weise Mann sass noch immer unter dem Eichenbaum, als erneut der Seuchengott an ihm vorbeikam. Der alte Mann war wütend und hielt den Seuchengott an. «Du wolltest doch 100 Leute anstecken. Doch stattdessen hast du dein Wort gebrochen und das halbe Dorf infiziert.» «Nein», erwiderte der Seuchengott scharf. «Nicht ich habe all die Menschen angesteckt. Ich habe, wie angekündigt, 100 Leute infiziert. Den Rest hat die Angst erledigt».

Autor unbekannt

Liebe Interessierte

Die jetzige Zeit, mit ihrem Krisencharakter, lässt bei den meisten Menschen die Ängste hochfahren. Angst vor dem Virus, Angst vor Krankheit, Angst vor dem Tod, Angst vor dem Wiedererleben von alten Erfahrungen, Angst vor Verlust, Angst, nicht zu wissen, was man glauben soll, Angst vor Fehlinformation, Angst vor Manipulation, Angst vor wirtschaftlichen Konsequenzen, Angst vor Kontrolle und Kontrollverlust, Angst vor der Angst, Angst vor was auch immer. In Extremsituationen geschieht es regelmässig, dass sich die Meinungen in zwei Lager spalten. Und dass aus verschiedenen Meinungen persönliche Feindseligkeiten entstehen. Aggression, Angriffigkeit, Verteidigung und Verdrängung sind gängige Verhaltensweisen, um mit der unbewussten Angst einen Umgang zu finden. Diese Verhaltensweisen werden automatisch abgelegt, wenn man zu der eigenen Angst stehen kann. Ängste haben viel mit (noch) nicht verarbeitetem Erlebtem und Erfahrenem zu tun. Deshalb meinen wir ja auch, dass „es“ in Zukunft wieder geschehen wird. Es gibt Stimmen, die sagen, dass die Ängste schützen und dass sie deshalb wichtig seien. Die Angst stellt sich aber selten als geeigneter Ratgeber heraus. Schliesslich ist im Zustand der Angst unsere Atmung flach, das Blickfeld eingeschränkt und eng, das Nervensystem im Stress und der Betroffene nicht in seiner kreativen Kraft. Wenn wir der Angst unreflektiert Folge leisten, wird sie grösser und unser Mut kleiner. Die Angst hält aber Wichtiges für uns bereit: Sie weist uns, wie oben erwähnt, auf (noch) nicht Verarbeitetes und Erlebtes hin. Sie zeigt uns eine verletzte Seite in uns. Deshalb ist es wichtig, sie wahrzunehmen. Aus meiner langjährigen Praxiserfahrung bedeutet das, sich mit ihr zweckmässig, ernsthaft und lösungsorientiert auseinanderzusetzen (unzweckmässige Auseinandersetzung ist beispielsweise das Gedankenkreisen; das ständige Denken und Reden über dieselben Themen. Unzweckmässig ist aber auch, nichts von den eigenen Ängsten wissen zu wollen). Die Auswahl der untenstehenden, praxisbewährten Instrumente können dir/Ihnen dabei helfen: – sich die Zeit zu nehmen und den Mut aufzubringen, die Ängste aufzuschreiben, die die jetzige Situation auslöst
– bei jeder Angst einen Realitätscheck zu machen, inwieweit diese Angst mit dem jetzigen Moment etwas zu tun hat. Oder hat sie vielleicht etwas mit vergangenen Erfahrungen zu tun?
– mit dem schwierigen Gefühl zu verweilen, ohne etwas zu tun oder zu sagen; die Angst somit „halten“  zu lernen
-sich dabei die Frage zu stellen: „Was ist das Schlimmste, was mir passieren könnte?“
– sich den eigenen Handlungsspielraum vor Augen zu halten
– gibt es Kompetenzen, die ich mir zusätzlich aneignen kann, die mich bereichern?
– angstbesetzte Situationen nicht zu vermeiden, sondern sich ihnen bewusst, und vielleicht mit Begleitung, zu stellen
– Strategien aufzuschreiben, die sich für mich bewähren, damit ich wieder zur Ruhe komme: beispielsweise in die Natur gehen, Bewegung, Gespräche, sinnvolles Tun, Musik, Meditation, Fokus auf Lebensziele und Lebenswertes Ängste sinnvoll zu bewältigen und dabei die eigene Komfortzone auszudehnen bergen in sich das Potential, als Persönlichkeit über sich hinaus zu wachsen, „weiter“ zu werden, stabiler, gelassener und somit resilienter. Man ist gut beraten, nicht alles zu glauben, was man denkt und fühlt. Sich und seine Ängste aber ernst zu nehmen, ist wesentlich für ein gutes Lebensgefühl. So gelingt es, sich mit passender Vorsicht, mit bewussten Schritten  und in eigenem Tempo dem Unbekannten zu stellen.